Mehrere tausend Menschen gingen am 13. März in Dresden gegen die Coronapolitik der Regierung auf die Straße. Sie trafen dabei auf ein massives Polizeiaufgebot und einen nicht unerheblichen Teil, vor allem auswärtiger Polizisten, die in brutalster Form gegen die friedlichen Proteste vorgingen. Offenbar als verspätete Rache über die erfolgreichen Demonstrationen, wurden zudem knapp 1000 Menschen bei kühlen Temperaturen über Stunden, bis in den späten Abend hinein, festgesetzt. Mehrere Personen wurden im Tagesverlauf durch die Polizei schwer verletzt – besonders betroffen waren ältere Mitbürger. Im Nachgang wurde vielfach die Frage aufgeworfen, welche Möglichkeiten es gibt, sich dagegen juristisch zu wehren. Wir haben eine Übersicht und zeigen, wie jeder selbst mit überschaubarem Aufwand aktiv werden kann. Außerdem haben wir die Tipps zum Umgang mit Ordnungswidrigkeiten-Verfahren, die gegen euch gerichtet sind, noch einmal aktualisiert.
Ordnungswidrigkeiten-Verfahren gegen euch
Die Polizei hat euch über Stunden hinweg eingekesselt und aus dieser selbst erschaffenen Ansammlung am Ende eine Ordnungswidrigkeit konstruiert? Diese Methode hat System und war u.a. im Frühjahr 2020 in Aue oder Chemnitz erkennbar. Dennoch sind die Kommunen fleißig dabei, solche OWIs zu verfolgen – Sachsens Innenminister Roland Wöller gibt sogar ganz offen zu, dass damit die leeren Staatskassen gefüllt werden. Wenn eure Personalien aufgenommen wurden, erhaltet Ihr in den nächsten Wochen oder Monaten (je nachdem, wie schnell die Stadt Dresden ist) ein Anhörungsschreiben, in dem euch der Vorwurf einer OWI mitgeteilt wird. Ihr solltet euch nicht dazu äußern, eure Äußerungen bleiben erfahrungsgemäß unberücksichtigt. Vielmehr müssen lediglich eure persönlichen Daten (Name, Anschrift, Geburtsdatum) schriftlich mitgeteilt werden, nicht mehr und erst recht keine Angaben zum Sachverhalt. In dieser Phase des Verfahrens könnt Ihr bereits einen Anwalt kontaktieren, der Akteneinsicht in den Vorgang nimmt und euch einen Überblick verschafft, was die Polizei bzw. Kommune euch konkret vorwirft. Wer mit der Kontaktaufnahme zu einem Anwalt warten möchte, kann sich auch Zeit lassen. Einige Wochen später erhaltet Ihr nämlich einen Bußgeldbescheid. Jetzt müsst Ihr aktiv werden und gegen den Bescheid binnen zwei Wochen Widerspruch einlegen. Ein Vordruck, wie ein solcher Widerspruch aussehen kann, ist auf der Seite der FREIEN SACHSEN zu finden. Irgendwann flattert euch dann ein Brief ins Haus, dass das Verfahren an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurde und in weiter Ferne kommt dann die Ladung zu einem Gerichtstermin. Spätestens jetzt solltet Ihr einen Anwalt kontaktieren, der Erfahrung im Corona-Bereich hat und eure Interessen durchsetzt.
Manchmal versucht das Gericht den Betroffenen die Weiterführung des Verfahrens auszureden und schickt Briefe, mit denen angeraten wird, den Einspruch zurückzunehmen. Das ist ein Versuch, sich Arbeit zu erleichtern, darauf sollte nicht reagiert werden. Reagiert werden muss aber, wenn ein Brief kommt, in dem mitgeteilt wird, dass das Gericht beabsichtigt, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden. Zwar widerspricht unser Musterwiderspruch diesem Verfahren bereits, es ist aber durchaus möglich, dass die Gerichte es dennoch versuchen. Besteht auf eine mündliche Verhandlung, bei Entscheidungen im Beschlusswege wurden bei ausnahmslos allen Verfahren, die hiesigerseits mit Coronabezug bekanntgeworden sind, die Bescheide bestätigt.
Strafanzeigen gegen Polizisten erstatten
Über den gesamten Tag hinweg ist es zu einer Vielzahl von Situationen gekommen, die den Anfangsverdacht von Straftaten gegen Polizisten nahelegen. Bereits die Einkesselung von rund 1000 Personen über viele Stunden hinweg kann eine Freiheitsberaubung darstellen, von möglichen Körperverletzungen im Amt durch Polizeiübergriffe oder Nötigungsdelikten, etwa der Androhung von unmittelbarem Zwang, wenn sich eine Person nicht entfernt, ganz zu schweigen. Aufgrund der Vielzahl der möglichen Delikte ist es nicht zielführend, eine „Musterstrafanzeige“ bereitzustellen. Wir haben aber einige Hinweise, die Ihr beachten könnt, um mit wenig Aufwand eure Strafanzeige zu erstatten und eure Interessen juristisch durchzusetzen.
Strafanzeigen, die Vorfälle am 13. März in Dresden betreffen, solltet Ihr direkt bei der Staatsanwaltschaft Dresden (Lothringer Str. 1, 01069 Dresden) gegen Sendungsnachweis einreichen. Anzeigen können auch bei der Polizei erstattet werden, diese leitet die Anzeigen aber ohnehin zur Entscheidung an die Staatsanwaltschaft weiter und gerade bei Anzeigen gegen Polizisten sollte dieser Schritt übersprungen werden. Ihr könnt das Schreiben z.B. mit „Strafanzeige wegen Nötigung bei Demonstration in Dresden“ überschreiben. Im Text müsst Ihr ausführen, wegen welcher Tat Ihr Strafanzeige erstattet, sowie einen Strafantrag stellen, wenn Ihr selbst betroffen seid und die Verfolgung des Deliktes wünscht. Dazu reicht ein Satz, sinngemäß „Hiermit erstatte ich Strafantrag wegen aller in Frage kommender Delikte“. Weiterhin müsst Ihr ausführen, gegen wen sich die Anzeige richtet – oft sind Polizisten namentlich nicht bekannt, daher können beigefügte Bilder und Videos ein wichtiges Beweismittel darstellen, aber auch Rückennummern, die zumindest auf den jeweiligen Zug der Polizeihundertschaft schließen lassen. Oder auch Fahrzeugkennzeichen oder gar erfragte Namen der Polizisten. Ihr solltet die Straftaten, die Ihr gesehen und / oder erlitten habt, möglichst genau schildern. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob ein Anfangsverdacht einer Straftat gegeben ist und leitet dann entsprechend weitere Ermittlungen ein, um den Sachverhalt aufzuklären. Schreibt abschließend in die Strafanzeige, dass Ihr eine Mitteilung erhalten möchtet, falls nicht Anklage erhoben wird – dann erhaltet Ihr im Einstellungsfall eine Begründung der Staatsanwaltschaft, gegen die unter gewissen Voraussetzungen weitere Rechtsmittel möglich sind.
Leider ist die Verfolgungsquote gegenüber Polizisten in Deutschland verschwindend gering, 98 Prozent aller Strafanzeigen gegen Polizisten werden eingestellt und in den 2 Prozent der Fälle, in denen Anklage erhoben wird, kommen die Polizisten meistens mit einem blauen Auge davon. Dennoch sind Strafanzeigen eine wichtige Methode, um Vorfälle zu dokumentieren, den Druck zu erhöhen und auch Polizisten zu signalisieren, dass sie sich nicht alles erlauben können. Und: Strafanzeigen sind – abgesehen vom Papier und Porto – kostenlos. Euch drohen keine Gerichtskosten oder andere Auslagen, die ihr tragen müsst, wenn die Anzeige abgewiesen wird.
Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Polizisten einreichen
Der Ablauf einer Dienstaufsichtsbeschwerde ist ähnlich wie bei einer Strafanzeige – die Dienstaufsichtsbeschwerde bezieht sich allerdings auf ein Verhalten, das unterhalb der Strafbarkeitsschwelle liegt, aber gegen Vorschriften für Polizisten verstößt. Beispielsweise, wenn sich ein Polizist weigert, sich ordnungsgemäß auszuweisen, obwohl dies im sächsischen Polizeigesetz eindeutig geregelt ist. Eine Dienstaufsichtsbeschwerde formuliert Ihr ähnlich wie eine Strafanzeige, Ihr erhebt dann jedoch Beschwerde und bittet um Überprüfung. Diese Überprüfung führt eine besondere Abteilung beim jeweiligen Polizeipräsidium durch. Beschwerden bezüglich des 13. März sind an die Polizeidirektion Dresden (Schießgasse 7, 01067 Dresden) zu richten. Das Schreiben sollte groß mit „Dienstaufsichtsbeschwerde“ überschrieben sein und den Sachverhalt ebenfalls detailliert schildern.
Auch eine Dienstaufsichtsbeschwerde ist kostenlos und deshalb ein beliebtes Mittel, polizeiliches Fehlverhalten zu dokumentieren. In der Regel sind die bearbeitenden Stellen – die Mitteilung über den Ausgangs des Verfahrens wird oft vom jeweiligen Polizeipräsidenten unterschrieben – jedoch nachsichtig mit ihren Beamten und biegen sich ihre eigene Version der Abläufe zurecht. Dennoch bleiben Verfahren in den Personalakten und können dazu dienen, „schwarze Schafe“, die immer wieder negativ auffallen, auch im Kollegenkreis zu markieren. Wenn Ihr eine Dienstaufsichtsbeschwerde einreicht, teilt ebenfalls mit, dass Ihr über den Ausgang unterrichtet werden wollt. Sonst kann es sein, dass die Beschwerde still und heimlich in einer Akte verschwindet und Ihr nie wieder etwas davon hört.
Verwaltungsklage(n) gegen die Einkesselungen
Das Unwort des Jahres 2021 scheint wohl „Sammelklage“ zu werden: Immer wieder wird in oppositionellen Kreisen von Sammelklagen gesprochen, die gegen Polizeieinsätze, die Regierung oder sonst wen geführt werden sollen. Tatsächlich sieht das deutsche Rechtssystem Sammelklagen nur in sehr begrenzten Fällen vor – sie sind zudem mit einem hohen Kostenrisiko verbunden. Vielmehr reicht es in den meisten Sachverhalten, wenn eine Person stellvertretend für alle anderen Betroffenen klagt.
Als Beispiel: Wenn 1000 Personen gegen eine Einkesselung klagen, wird das Gericht als Streitwert pro Fall 5000 Euro ansetzen, die Gebühr (ohne Anwaltsauslagen, Anwalt der Gegenseite usw.) beträgt knapp 500 Euro. Die Staatskasse freut sich, falls die Klage abgewiesen wird, über knapp eine halbe Millionen Euro (und da die Gerichte derzeit unberechenbar sind, weiß niemand sicher, wie ein Verfahren ausgeht). Wenn jedoch nur eine Person klagt, können die 500 Euro durch alle 1000 geteilt werden und die Staatskasse erhält im Verlustfall nur diesen Betrag. Das Ergebnis ist das Gleiche: Das Gericht prüft in einem Fall, ob der Polizeieinsatz rechtmäßig war. Bei allen anderen Klagen, die den selben Vorfall zum Gegenstand haben, werden Namen und Aktenzeichen verändert, viel mehr aber auch nicht. Genauso verhält es sich mit Klagen vor dem Oberverwaltungsgericht, die sich beispielsweise gegen eine bestimmte Norm (z.B. die Testpflicht an Schulen) richten. Auch dort braucht es keine 500 Klagen, sondern im Idealfall eine einzige, gut ausformulierte. Wenn mehrere Kanzleien jeweils eine eigene Klage einreichen, ist dies nachvollziehbar, schließlich argumentiert jeder Anwalt unterschiedlich und will sich auch gerne empfehlen – dabei sollten aber nicht hunderte Menschen vertreten werden und vor allem sollten Klagewillige über das Kostenrisiko aufgeklärt werden, was im Verlustfall drohen kann.
Somit ergibt sich, dass es für die Einkesselungen am 13. März in Dresden reicht, wenn ein Betroffener (je Polizeikessel) gegen die stundenlange Festsetzung durch die Polizei, die ohne richterlichen Beschluss erfolgte, klagt. Für den Kessel an der Magdeburger Straße hat sich bereits ein Bürger aus Chemnitz gefunden, der von Rechtsanwalt Martin Kohlmann vertreten wird – der Mann älteren Semesters wurde zudem durch den Polizeieinsatz schwer verletzt, was bei der Klage ebenfalls zu berücksichtigen sein wird. Wenn es Personen aus anderen Polizeikesseln gibt, die gegen die jeweilige Maßnahme klagen wollen, werden diese gebeten, sich zwecks Koordination unter kontakt@freie-sachsen.info zu melden.
Die Klage zielt als Fortsetzungsfstellungsklage darauf ab, die Rechtswidrigkeit des polizeilichen Einsatzes feststellen zu lassen, insbesondere ist die Einkesselung von bis zu sechs Stunden ist – selbst beim Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit – unverhältnismäßig. Bezeichnenderweise hat dies sogar der sächsische Polizeipräsident Horst Kretzschmar (nicht zu verwechseln mit dem ähnlich klingenden Ministerpräsidenten…) in einer Pressekonferenz am Dienstag zugegeben, sinngemäß führte er aus, dass der Einsatz von Wasserwerfern wegen einer Ordnungswidrigkeit nicht verhältnismäßig sei. Bessere Argumentationen für die Rechtswidrigkeit des eigenen Polizeieinsatzes könnte eine Behörde nicht liefern.
Im Rahmen des Klageverfahrens, das sich über einige Monate hinziehen kann und an dessen Ende die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Einsatzes steht, um für die Zukunft Wiederholungen zu vermeiden (so zumindest die Theorie hinter dem Sinn von Fortsetzungsfeststellungsklagen) findet eine Beweisaufnahme statt, auch eine mündliche Verhandlung ist in aller Regel vorgesehen. Dort können alle, die den Kessel miterlebt haben und verschiedene Beobachtungen gemacht haben, ihre Ansichten einbringen bzw. vortragen. Diesbezüglich empfehlt sich auch eine Mail an kontakt@freie-sachsen.info, um zum entsprechenden Zeitpunkt auf die jeweiligen Aussagen / Aufnahmen usw. zurückgreifen zu können.
Über den Verlauf der Klage wird regelmäßig durch die FREIEN SACHSEN informiert, gleichzeitig freuen wir uns, mögliche Strafanzeigen oder Dienstaufsichtsbeschwerden in Kopie zu erhalten, um einen Überblick über die eingeleiteten, juristischen Schritte zu erhalten.
Grundsätzlich gilt: Behörden neigen dazu, ihr Fehlverhalten zu wiederholen, wenn es keinen klaren Gegenwind gibt. Selbst anhängige Verfahren können dazu dienen, Behörden zur Vernunft zu bringen, unabhängig von ihrem Ausgang. Es ist deshalb ratsam, im Nachgang der Ereignisse vom 13. März entsprechende Schritte einzuleiten und sich dies auch für ähnliche Ereignisse in der Zukunft vorzubehalten. Unsere Rechte und unsere Freiheit, die uns in diesen Zeiten geraubt wird, setzen wir nicht nur auf der Straße durch, sondern auch juristisch!